Derpgun rauf und dann all aboard the lemmingtrain!

An Pfingsten wird die Panzergeschichte im Museum alternativ erlebt: Es wird gejohlt, gegackert und gegröhlt werden, hunderte Panzer werden vernichtet werden und das wird für große Heiterkeit und allgemeine Zufriedenheit sorgen.

Ausgerechnet im neuerdings ach so kritischen Panzermuseum so eine Verharmlosung von Krieg und Gewalt? Oder um es mal passenderweise im Internetjargon zu sagen: Lolwut?

Am Pfingstwochenende wird die Firma Wargaming bei uns im Hause eine Promotion-Station aufbauen. An dieser Station werden sie ihr Spiel (und Zugpferd der ganzen Firma) „World of Tanks“ bewerben, indem es an ca. einem Dutzend Rechnern gespielt werden kann. Es wird Wettbwerbe, Preise, Selbstdarstellung, Spielergejohle und alles andere geben, was dazugehört. Was „World of Tanks“ (im folgenden WoT) ist, könnte ich jetzt wortreich darstellen – oder zeit- und mediengerecht einfach kurz ein Video verlinken, dass die Prinzipien erklärt:

Im Prinzip vermittelt WoT nur Inhalte, die den Aussagen des Panzermuseums direkt zuwiderlaufen.

  1. Das klinische Schlachtfeld: Es sind keine Menschen zu sehen, weder Soldaten noch Zivilisten. Leid und Schmerz, Tod und Verstümmeling – alles kein Thema. Krieg ist ein reines „Tick, du bist!“ und wenn der eigene Panzer vernichtet ist, kommt ein markiger Spruch im Sinne von „This machines has had it, let’s get out.“ Lediglich gelegentliche Meldungen wie „They killed our driver“ zeigen an, dass da doch irgendwie Krieg passiert.
  2. Panzer ohne andere Waffensysteme: Der Panzer ist historisch untrennbar mit allen möglichen anderen Waffen und Kämpfern verbunden: Infanterie, Flieger, Logistik und so weiter. Findet alles nicht statt. Es rollen ausschließlich Panzer und Jagdpanzer über das Menschenleere Schlachtfeld. Einzig die Artillerie spielt eine Rolle, aber letztlich auch nur als indirekt feuernde Panzer, die ein paar Meter weiter hinten stehen.
  3. Der einzelne Panzer entscheidet: Historisch gesehen sind Panzer eigentlich nur im Plural relevant. Es waren Panzereinheiten und -verbände, die operativ entscheidend gewirkt haben. Bestes Beispiel dafür ist immer noch der krasse Leistungsunterschied zwischen den alliierten Panzern und den Panzerdivisionen in Frankreich 1940. Auch wenn Züge und Kompanien (die Multiplayergruppen-Bezeichnungen in WoT) in der Tat bessere Chancen haben, ein Gefecht zu gewinnen, so ist der überragende Teil der täglichen millionenfachen Partien doch geprägt durch lauter Einzelspieler – und deren Fähigkeiten entscheiden dann die Schlacht.
  4. Scheinbare Berechenbarkeit: WoT basiert auf einem Rechenmodell. Einem großen, komplexen Rechenmodell, das zwei Dinge leisten muss: Ein Gschmäckle von Authentizität erzeugen einerseits und ein ausbalanciertes, faires Spiel andererseits. Allerdings nehmen viele Spieler nur den ersten Teil wahr. Sie glauben tatsächlich, dass die von Wargaming willkürlich festgesetzten Werte „die Realität“ spiegeln könnten – was im Prinzip schon völliger Unsinn ist, aber im Zuge des Balancing-Problems völlig hanebüchen wird. Im letzten Patch werden französische Artilleriegeschütze plötzlich um ein Vielfaches präziser – wie ist das möglich, wenn die Werte doch „historisch“ sind? Egal, den Fans macht das nichts: Die Denkstruktur, dass man einen historischen Panzer durch reine Daten erfassen könnte, wird dadurch wieder einmal verstärkt.
  5. Schwerer & größer = besser. Das war lange die Formel, nach der der Levelanstieg bei WoT funktionierte. Das Spiel suggerierte, dass große und schwere Panzer das logische „Ende“ einer „Evolution“ seien; kleine, leichte Panzer hingegen nur der Startpunkt für diese Evolution. Diese Denkweise ist natürlich nur durchzuhalten durch Punkt 3 dieser Aufzählung. Im historischen Gesamtkontext von Produktion, Logistik, Wartung, Doktrinen und so fort würde niemand, der zu differenziertem Denken in der Lage ist, ernsthaft behaupten, der Königstiger sei der bessere Panzer im Vergleich zu bspw. dem T-34. Zu so einem Schluss kann man nur kommen, wenn man panzerquartettartig denkt und Duellsituationen im klinischen Raum herbeifabuliert – was WoT ja genau tut. Diese Denkweise wurde durch die Einbindung mittlerer Nachkriegspanzer als High Tiers etwas aufgeweicht, gilt aber dennoch immer noch weitreichend.
  6. Technofetischismus ohne reale Bezüge: WoT suggeriert durch seine Techtrees, dass alles mögliche in alles mögliche verbaut werden konnte. Gewisse Begrenzungen gibt es, aber die Einbindung noch der albernsten Prototypen von Kanonen und Türmen, von nur auf dem Papier existenten Panzern und nie gebauten Fahrwerken direkt neben Massenprodukten wie den realen T-34 und Panzer IV macht Glauben, dass damals einfach nur falsch kombiniert wurde. Krieg wird hier zum McMenü, wer falsch bestückt, ist selber schuld. Panzer IV waren ohne Derp vor Moskau? Olol, Bobs. Hätten sie mal den Techtree besser gelesen…
  7. Historische Kontextlosigkeit: Muss man das Fehlen JEDWEDEN historischen Hintergrundes erwähnen? Nein? Dachte ich mir, danke. Ich wollte die Intelligenz meiner Leser nicht beleidigen.

Alles in allem: WoT bringt Millionen Menschen genau das Gegenteil von dem bei, was wir vermitteln wollen. Warum also holen wir nun ausgerechnet diesen virtuellen Feind in unser Bett?

Die Logik ist ganz einfach: Wir können es ohnehin nicht verhindern, dass WoT sein krudes Geschichtsbild verbreitet. Es passiert 24/7 global. Was können wir also tun? Früher hätten Museen als Bildungstempel die Nase gerümpft und sich auf das „richtige“ Publikum konzentriert.

Blödsinn.

Wir umarmen den Feind. Militärgeschichte goes Gandhi oder Aikido, wie man will.

Diese Spieler, die sich für Panzer interessieren, werden durch Wargaming in das Panzermuseum geholt. Hier treffen sie auf die historischen Originale und hier treffen sie auf (noch sehr wenig, aber bald VIEL mehr) Geschichtsvermittlung, die ihre Babys in interessante, aber eben auch kritische und irritierende Kontexte setzt. Die zum Nachdenken herausfordert. Die zum Hinterfragen der WoT-Konstruktionen einlädt und es VIELLEICHT schafft, die Spieler mal ein Buch lesen zu lassen, das über Kalibergrößen und Turmdrehkranzdurchmesser hinausgeht, weil die Führung, der Audioguide oder ein Text dann doch mal nachdenklich gemacht haben. Wenn auch nur einer von hundert das tut, haben wir schon etwas gewonnen.

Das ist alles. Wir betreiben hier Schadensbegrenzung am Geschichtsbild, so gut wir können, indem wir uns als nette Gastgeber verkleiden und dann den nichtsahnenden Besuchern Bildung um die Ohren hauen.

Museum 2013 – Bildung aus dem Hinterhalt.

6 Kommentare

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6 Antworten zu “Derpgun rauf und dann all aboard the lemmingtrain!

  1. Sorry, ohne eine Efficiency von mindestens 1500 wird das mit der Hinterhaltsbildung aber nichts. Als ob sich gestandene Progamer was von einem Anfänger sagen lassen!

    Danke für den Lacher am Abend, sehr unterhaltsam geschrieben. Der Youtube-Link führt leider ins Leere.

  2. Hrzghlyoutubewordpress. Danke für den Hinweis, nun löppt’s.

  3. WarZeal

    Ein sehr guter Beitrag, der mir durchgehend ein verzerrtes Lächeln auf das Gesicht zauberte. Beim Pz4 mit Derp vor Moskau lag ich lachend am Boden. Ich entnehme dem doch eher wissenden Grundtenor des Artikels, dass Sie sich mehr als oberflächlich mit WoT beschäftigt haben, aber eigentlich lief für Sie als Historiker und Gastgeber des Schauspiels kein Weg daran vorbei.
    Ich nehme an, Sie sind an diesem Tag durchgehend anwesend? Ich empfehle eine Familienpackung Baldrian präventiv einzunehmen und eine weitere auf stand-by zu halten, der Hass und die Ernüchterung über die vorsätzliche Belehrungsresistenz wird stark werden.

    In diesem Sinne, Tiger II best Panzer evar, lulz.

  4. Hargorin_Todbringer

    Nicht schlecht geschrieben! Ich finde es lustig!!!

    Es ist leider schon war dass viele Spieler hier ein Arcade-Spiel mit einem Simulator oder gar der Realität verwechseln. ABER zum Glück nicht alle. Ich bin aktiver Forum User und bin mir sehr wohl bewusst was der Unterschied zwischen Krieg und Spiel ist. Ich kenne ausserdem auch andere „WoT-Junkies“ die sich dieses Unterschieds bewusst sind und regelmässig versuchen der breiten Masse diesen klar zu machen.

    Trotzdem bin ich froh das WoT so ist wie es ist und nicht „wie“ die Realität. Sonst wär das ganze nämlich ziemlich deprimierend.

    An alle die in Munster dabei sind: „Viel Spass!!!“ Ich kann leider nicht kommen

    Gruss Hargorin

  5. Es gibt in diesem Spiel tatsächlich Leute die sich MASSIV aufregen wenn der beste Panzer des zweiten Weltkrieges (wir wissen ja wohl alle welcher das ist) von so minderwertigen Gerät wie einem T-34 aufgemischt wird.
    Spätestens wenn man die ersten Todesdrohungen kriegt weil man den falschen Panzer mit dem falschen Panzer zerstört hat stellt sich auf jeden Fall Spielspass ein!

  6. Brick

    „Krudes Geschichtsbild“ vs. „[m]uss man das Fehlen JEDWEDEN historischen Hintergrundes erwähnen?“: Das hat was. Ich würde sagen entweder-oder und letzteres ist richtig. Es ist ein Spiel. Ein arcade Spiel. Ein arcade Spiel, das mit voller Absicht JEDWEDEN historischen Hintergrund (mit Ausnahme des Karten und Panzerdesigns) vermeidet. Das Fehlen von Infanterie, Flugzeugen oder gar Logistik ist nicht das erste was in den Sinn kommt, denn hier kämpfen alle Kriegsparteien ZUSAMMEN gegen alle Kriegsparteien ZUSAMMEN (klingt komisch ist aber so). Außerdem hat man perfekte Rundumsicht, man sieht also alles – außer gegnerische Panzer, die je nach Position ab Entfernungen von unter 500 m „aufploppen“ und sobald man sie ins Visier nimmt farblich markiert werden. Desweiteren haben die Panzer „Lebenspunkte/balken“. Muss man erwähnen, dass man Kanonen DURCH Häuser schwenken kann? Die Aussage „krudes Geschichtsbild“ bei WoT macht ungefähr genauso viel Sinn, wie die Aussage, dass Mortal Kombat keine realistische Simulation von unterschiedlichen Kampfstilen ist. WoT Realism Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=7yJDlERvwGg

    Ein paar Anmerkungen:
    „[S]o ist der überragende Teil der täglichen millionenfachen Partien doch geprägt durch lauter Einzelspieler – und deren Fähigkeiten entscheiden dann die Schlacht.“ Da muss man – glaube ich – den letzten Teil etwas abändern. Richtig wäre IMO: „und vor allem deren Fähigkeit im Team zu spielen entscheidet dann die Schlacht.“
    „Schwerer & größer = besser.“ Nope. Ein gut gefahrener Scout, also ein leichter Panzer, der einer Maus gerade mal den Lack verkratzen kann, ist im Spiel viel mehr Wert als jeder schwere Panzer (solange die anderen Panzer halbwegs als team agieren). Die mittleren Panzer waren – primär wegen ihrer Mobilität – immer konkurrenzfähig.
    „Krieg wird hier zum McMenü, wer falsch bestückt, ist selber schuld. Panzer IV waren ohne Derp vor Moskau? Olol, Bobs. Hätten sie mal den Techtree besser gelesen…“ Die 75 mm KwK 37 L/24 ist „Derp“, also eine „low-velocity gun designed to mainly fire high-explosive shells“ (zugegeben keine 105 mm wie im Spiel aber dennoch Derp). Zu der Zeit hat man ja gerade in den „tech tree“ geschaut, und sich entschlossen eine PaK 40 in leicht abgewandelter Form zu verbauen. Wie viele F2s (also nicht „Derp“ Panzer IV) waren denn vor Moskau? Wer sich für „Panzerevolution“ im WWII interessiert, dem kann ich nur die exzellenten TANKS! Dokus (z.B. auf youtube) empfehlen, in denen u.a. der „The (oder Bovington) Tank Museum“ Historiker David Fletcher erklärt, wie die „echten“ „tech trees“ im zweiten Weltkrieg ausgesehen haben, wohl eine Inspirationsquelle für WarGaming.
    KöTi vs. T-34: Ich behaupte einfach mal ganz ernsthaft, dass Tiger B + Panther insgesamt besser waren als T-34-85 + IS-2 zumindest für Nazideutschland. Dabei denke ich, dass Produktion, Wartung und Logistik (wobei IMO der Einsatz vieler identischer Komponenten[Motor] in beiden Panzern Wartung und auch Logistik deutlich vereinfacht hat – ich weiß schon es geht um das verwurschtelte Drehstabfahrwerk, Transportketten und die anfänglichen Probleme, die IIRC ALLE Panzer hatten) eine untergeordnete Rolle spielen und möchte primär auf den jeweiligen Census verweisen, der deutlich machen sollte, dass Überlebensfähigkeit der Panzerbesatzungen für Nazideutschland zwangsläufig einen viel höheren Stellenwert einnehmen musste. Ab Mitte 43 war die „Hauptresource“, die Nazideutschland fehlte Männer im kampffähigen Alter. Hätte man die gleichen Verluste wie die UdSSR bei Kursk (also noch vor KöTi Zeit und in Panther“kinderschuhen“) erlitten, dann wäre der Krieg genau dort auch so gut wie vorbei gewesen und wäre nicht noch 2 Jahre weitergegangen. Desweiteren muss man in dem Zusammenhang anmerken, dass eine erfahrene Panzercrew viel wichtiger ist als der Panzer in dem sie sitzt. Oder vereinfacht: Höhere Produktionszahlen hätten überhaupt nichts gebracht. Wer hätte die Panzer fahren sollen? Katzen und Hunde?
    Betrachtet man ganz allgemein schwere Panzer vs mittlere Panzer, dann sieht man, dass heute quasi alle westlichen MBTs (fast) in der Gewichtsklasse vom KöTi liegen und alle dabei viel,viel,viel komplexer geworden sind. Selbst der LeClerc hat ja den Tiger schon hinter sich gelassen. Der T-90, der einzige verbleibende mittlere Panzer, ist schwerer als der Panther. Sogar der Type 99 ist ein schwerer Panzer. Aber bitte nicht falsch verstehen. Der T-34 war ein exzellenter Panzer. Er war zu Beginn von Operation Barbarossa der IMO beste Panzer auf dem Schlachtfeld und selbst 45 noch konkurrenzfähig. Vergessen wird oftmals, dass Panzer und Flugzeuge damals jeweils Benzin mit hohen Oktanzahlen benötigten. Das macht den Einsatz eines Dieselmotors im T-34 IMO dessen bei weitem wichtigste Neuerung(wobei eine Heizung einzubauen wohl auch nicht ganz blöd gewesen wäre – wurde später dann ja auch gemacht).

    Ganz allgemein (bezogen auf den gesamten Blog) verstehe ich nicht, dass man sich hier scheinbar über Museumsbesucher ärgert, die primär ein „Technikmuseum“ erwarten. Im Gegensatz zu einem Museumsdirektor, kann ich mir als Gast jeden Tag aussuchen, in welches Museum ich will und die Annahme, dass ich als „Techno[-o+ik]fetischist“ oder „unkritische[r] Technikfan“ einer zusätzlichen „Bildung aus dem Hinterhalt“ bedürfte, ist nicht haltbar. Den „Technofetischisten“ lasse ich doch nur im Panzermuseum raus. Wenn ich in Washington das Holocaust Memorial Museum besuche, dann erleben die dortigen Betreiber einen ganz anderen Menschen. In der KZ Gedänkstätte Dachau überlege ich mir nicht, welcher Panzer im zweiten Weltkrieg denn der bessere war und im MTU Museum, interessieren mich die Motoren und ja dort würde ich ziemlich irritiert reagieren, wenn mir nicht erklärt wird, wie man mit einem mechanischen (!) Steuergerät unterschiedliche Kennlinien erzeugen kann, sondern mir Bildung über Kriegsverbrechen der Luftwaffe verabreicht wird. Hier wird scheinbar von eindimensionalen Menschen ausgegangen: „Der findet Panzer geil, also verherrlicht er Krieg und verharmlost den Holocaust!1!!1“ Dieses krude Menschenbild ist es, das mir und offensichtlich auch vielen anderen (wie die Rezeption des unsägliche Zeitartikels zeigt) so sauer aufstößt. Ja Panzer anschauen, macht mir enormen Spass (jaja ich gebs ja zu Kind im Manne und so) aber nein, das Bild, das Sie von mir beim Besuch in Ihrem Museum bekommen, entspricht nicht der ganzen Realität.

    Arg. So viel Geschreibsel und dann liest es am Ende keiner. Wenigstens hilft es die eigenen Gedanken zu ordnen.

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