Handtuchköpfe – innen oder außen?

Krieg und Kultur sind zwei Begriffe, die für die meisten Menschen nicht zusammengehören. Krieg, so die allgemeine Annahme, sei ausnahmslos von technischen Möglichkeiten und überzeitlichen Sachzwängen bestimmt. Nichts könnte falscher sein: Kriegführung ist durchdrungen von Werten und Normen, von Symbolen und Gebräuchen. Das aktuelle, westliche Bild von „Soldatentum“ und „Kriegführung“ ist genauso willkürlich und zeitgebunden aggregiert, wie es die entsprechenden Konzepte anderer Kulturkreise und/oder Zeiten auch sind.

Die Konnotation des Soldaten als „männlich“, inklusive der korrespondierenden Attribute „hochgewachsen“ und „breitschultrig“, ist beispielsweise erst im 19. Jahrhundert aufgekommen. Vorher waren diese Aspekte kein notwendiger Teil des Konstruktes „Soldat“. Offiziere des Ancien Regime gaben sich im Gegenteil sogar oft bewusst weiblich in Körperform, -sprache und -bekleidung. Auch andere Details, die heute ohne Hinterfragung als „soldatisch“ gelten, sind historisch gesehen sehr jung: Die oftmals beinahe fetischistisch verfolgte „gute Rasur“, die maximal einen gut gestutzten Bart akzeptiert, wäre noch in den britischen Schützengräben des Ersten Weltkrieges laut verlacht worden; dort galt ein möglichst wallender Schnurrbart als Zeichen des wahren Kriegers. Die typische militärische Sprache, die extrem verknappt und Wert auf klare, deutliche Aussprache legt, kommt erst zu Beginn dieses Jahrhunderts auf; vorher wurde auf den Schlachtfeldern Europas völlig normal gesprochen.

Die gleiche Mechanik gilt auch für alle anderen Felder des Soldatischen und des Krieges im Allgemeinen – unser aktuelles Wertesystem ist eben so willkürlich wie vergänglich.

Interessant ist dabei, mit welcher eurozentrischen Ignoranz und Arroganz dieses Wertesystem von Angehörigen unserer Kultur überhöht wird. Dank der digitalen Revolution finden Unmengen von Videos und Fotos aus Kriegsgebieten rund um den Globus ihren Weg in deutsche Wohnzimmer und werden dann in Internetforen heiß von Armchair Generals und Keyboard Warriors diskutiert – mit einer Herablassung, die betroffen machen muss.

Ein typisches Beispiel ist dieses Video.

Die Aufständischen, die mit einer Handkamera aus einem Fenster heraus gegnerische Panzer filmen, murmeln ständig „Allahu akbar“ vor sich hin. Dieses Verhalten hat natürlich eine ganze Reihe von Gründen: Natürlich hat es propagandistische Zwecke, denn die Veröffentlichung des Videos war von vornherein geplant. Gleichzeitig ist es aber ein völlig normales Mantra eines Soldaten, der sich in einer extremen Stresssituation beruhigen und stärken will – genau wie amerikanische Soldaten in vergleichbaren Videos die Worte „Fuck“, „Jesus“ und „Oh my god“ unausgesetzt aneinanderreihen. Eventuell hat es sogar noch tiefergehende Gründe, wenn der Aufständische wirklich religiös ist – aber auch dann ist es auch nur die Entsprechung zu GIs, die unter Feuer den Rosenkranz durchbeten.

Es ist also ein menschlich völlig nachvollziehbares Verhalten, das nur kulturell anders lackiert ist. Um das zu erkennen, muss man aber mit offenen Augen vergleichend betrachten, und zwar ohne ein Seite von vornherein abzuwerten, nur weil dem eigenen Verhaltens- und Zeichenkatalog des „Soldatischen“ nicht entspricht. Aber soviel Gehirnarbeit für die meisten Internetkrieger zu viel Aufwand. Da werden die „gehirngewaschenen Handtuchköpfe“ einfach der Lächerlichkeit preisgegeben und so die Überlegenheit des eigenen Wertesystems durch gegenseitige Bestätigung geistig perpetuiert.

Der selbe Effekt lässt sich bei irregulären, afrikanischen Kämpfern feststellen. Bilder aus Bürgerkriegsgebieten zeigen oft Kämpfer in für europäische Augen sehr extrovertierten Kleidungen, die zudem noch Posen beim Feuerkampf einnehmen, die wie aus Musikvideos und Gangsterfilmen geklaut wirken. Der Punkt ist: Das ist durchaus richtig. Wie Mary Kaldor feststellte, sind Ray-Ban-Brillen, Lederjacken und goldene Rolex Symbole der Partizipation am globalen Warenstrom – was angesichts der Warlord-Ökonomien stellvertretend für Rang und Status gelesen werden kann; das gleiche gilt für die Körperhaltungen. In diesem Kulturkreis gelten diese Klamotten und Posen als militärisch – und damit SIND sie es; nicht weniger als hier ein kurzer Haarschnitt, breite Schultern und eine zackig sitzende Uniform militärisch sind, weil sie eben als militärisch gelten.

Die Eurozentristen an den Tastaturen ficht das nicht an; sie veralbern die afrikanischen Kämpfer als Möchtegern-Soldaten und dumme Amateure. Wohlgemerkt: Wohlstandskinder vor Monitoren in gut geheizten Wohnzimmern mit Chips und Cola links und rechts urteilen über den Grad des Soldatischen an Menschen, die ihr ganzes Leben zwischen und in Feuergefechten, Massakern, systematischen Vergewaltigungen und Plünderungen zugebracht haben und durchgekommen sind. Sie urteilen über diese Menschen, weil sie nicht genau so aussehen und sich halten, wie sie, die Keyboard Warrior, nun mal wissen, dass soldatische Haltung und soldatisches Aussehen zu sein haben – so wie gerade jetzt und gerade hier nämlich.

Mehr als Betroffenheit ist da nicht möglich. Und viel Arbeit im Museum.

3 Kommentare

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3 Antworten zu “Handtuchköpfe – innen oder außen?

  1. cykodennis

    Großartiger Beitrag! Danke dafür!

  2. FraggyOnTour

    Hätte nicht gedacht, dass Cain so ein Kulturrelativist ist. Da bin ich gerne Eurozentrist, wenn ich dann lieber in der westlichen Werteordung als in einem islamischen Gottesstaat mein Dasein fristen kann.

  3. Ich sehe irgendwie keinen argumentativen Zusammenhang zum Blogpost.

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